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Erzählperspektive, Aufbau und Sprache analysieren
Beispieltext
Tipp: Die Geschichte ist sehr gut durch eine Skizze der dargestellten Welt zu knacken!
Ilse Aichinger - Das Fenstertheater
Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber. Der Wind trieb in leichten Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Die Frau hatte den starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind. Es hatte ihr noch niemand den Gefallen getan, vor ihrem Haus niedergefahren zu werden. Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten. Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag zu tief unten.
Als sie sich eben vom Fenster abwenden wollte, bemerkte sie, dass der Alte gegenüber Licht angedreht hatte. Da es noch ganz hell war, blieb dieses Licht für sich und machte den merkwürdigen Eindruck, den aufflammende Straßenlaternen unter der Sonne machen. Als hätte einer an seinen Fenstern die Kerzen angesteckt, noch ehe die Prozession die Kirche verlassen hat. Die Frau blieb am Fenster. Der Alte öffnete und nickte herüber. Meint er mich? dachte die Frau. Die Wohnung über ihr stand leer, und unterhalb lag eine Werkstatt, die um diese Zeit schon geschlossen war. Sie bewegte leicht den Kopf. Der Alte nickte wieder. Er griff sich an die Stirne, entdeckte, dass er keinen Hut aufhatte, und verschwand im Innern des Zimmers. Gleich darauf kam er in Hut und Mantel wieder. Er zog den Hut und lächelte. Dann nahm er ein weißes Tuch aus der Tasche und begann zu winken. Erst leicht und dann immer eifriger. Er hing über die Brüstung, dass man Angst bekam, er würde vornüberfallen. Die Frau trat einen Schritt zurück, aber das schien ihn nur zu bestärken. Er ließ das Tuch fallen, löste seinen Schal vom Hals – einen großen bunten Schal – und ließ ihn aus dem Fenster wehen. Dazu lächelte er. Und als sie noch einen weiteren Schritt zurücktrat, warf er den Hut mit einer heftigen Bewegung ab und wand den Schal wie einen Turban um seinen Kopf. Dann kreuzte er die Arme über der Brust und verneigte sich. Sooft er aufsah, kniff er das linke Auge zu, als herrsche zwischen ihnen ein geheimes Einverständnis. Das bereitete ihr so lange Vergnügen, bis sie plötzlich nur mehr seine Beine in dünnen, geflickten Samthosen in die Luft ragen sah. Er stand auf dem Kopf. Als sein Gesicht gerötet, erhitzt und freundlich wieder auftauchte, hatte sie schon die Polizei verständigt. Und während er, in ein Leintuch gehüllt, abwechselnd an beiden Fenstern erschien, unterschied sie schon drei Gassen weiter über dem Geklingel der Straßenbahnen und dem gedämpften Lärm der Stadt das Hupen des Überfallautos. Denn ihre Erklärung hatte nicht sehr klar und ihre Stimme erregt geklungen. Der alte Mann lachte jetzt, so dass sich sein Gesicht in tiefe Falten legte, streifte dann mit einer vagen Gebärde darüber, wurde ernst, schien das Lachen eine Sekunde lang in der hohlen Hand zu halten und warf es dann hinüber.
Erst als der Wagen schon um die Ecke bog, gelang es der Frau, sich von seinem Anblick loszureißen. Sie kam atemlos unten an. Eine Menschenmenge hatte sich um den Polizeiwagen gesammelt. Die Polizisten waren abgesprungen, und die Menge kam hinter ihnen und der Frau her. Sobald man die Leute zu verscheuchen suchte, erklärten sie einstimmig, in diesem Hause zu wohnen. Einige davon kamen bis zum letzten Stock mit. Von den Stufen beobachteten sie, wie die Männer, nachdem ihr Klopfen vergeblich blieb und die Glocke allem Anschein nach nicht funktionierte, die Tür aufbrachen. Sie arbeiteten schnell und mit einer Sicherheit, von der jeder Einbrecher lernen konnte. Auch in dem Vorraum, dessen Fenster auf den Hof sahen, zögerten sie nicht eine Sekunde. Zwei von ihnen zogen die Stiefel aus und schlichen um die Ecke. Es war inzwischen finster geworden. Sie stießen an einen Kleiderständer, gewahrten den Lichtschein am Ende des schmalen Ganges und gingen ihm nach. Die Frau schlich hinter ihnen her.
Als die Tür aufflog, stand der alte Mann, mit dem Rücken zu ihnen gewandt, noch immer am Fenster. Er hielt ein großes weißes Kissen auf dem Kopf, das er immer wieder abnahm, als bedeutete er jemandem, dass er schlafen wolle. Den Teppich, den er vom Boden genommen hatte, trug er um die Schultern. Da er schwerhörig war, wandte er sich auch nicht, um als die Männer schon knapp hinter ihm standen und die Frau über ihn hinweg in ihr eigenes finsteres Fenster sah. Die Werkstatt unterhalb war, wie sie angenommen hatte, geschlossen. Aber in die Wohnung oberhalb musste eine neue Partei eingezogen sein. An eines der erleuchteten Fenster war ein Gitterbett geschoben, in dem aufrecht ein kleiner Knabe stand. Auch er trug sein Kissen auf dem Kopf und die Bettdecke um die Schultern. Er sprang und winkte herüber und krähte vor Jubel. Er lachte strich mit der Hand über das Gesicht wurde ernst und schien das Lachen eine Sekunde lang in der hohlen Hand zu halten. Dann warf er es mit aller Kraft den Wachleuten ins Gesicht.
Erzählperspektive
Aufgabe 1:
Formuliere den ersten Absatz in die anderen Erzählperspektiven um. Verstärke die bereits vorhandene personale Erzählperspektive.
Beispiele: Der Anfang der Geschichte umgeformt in andere Erzählperspektiven
auktorial:
In großen Städten geschehen seltsame Dinge. An einem windigen Tag stand eine Frau mit dem starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind, an ihrem Fenster und schaute auf die andere Straßenseite. Es wäre ihr ein Vergnügen gewesen, wenn vor ihr auf der Straße jemand überfahren waren wäre. Kann man sich das vorstellen? Dabei wohnte sie im vorletzten Stock. Dadurch dass alles zu weit unten lag, hätte sie im Falle des Falles eh nicht viel gesehen. Selbst der Lärm der Straße war von dort oben nur wenig zu hören.
personal:
Ich lehnte am Fenster und sah hinüber. Der Wind trieb in leichten Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Ich hatte den starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind. Es hatte mir noch niemand den Gefallen getan, vor meinem Haus niedergefahren zu werden. Außerdem wohnte ich im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten. Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag zu tief unten. (Ich-Perspektive verstärkt die hier schon vorhandene personale Erzählperspektive)
neutral:
Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber. Die Frau hatte einen starren Blick. Der Wind trieb in leichten Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag tief unten. Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag tief unten.
Aufbau
Merkmale von Kurzgeschichten
Kurzgeschichten besitzen …
- … einen begrenzten Umfang
- … einen direkten, unvermittelten Einstieg (in medias res)
- … menschliche Beziehungen oder Problematiken als Handlungskern
- … meist nur einen Handlungsstrang
- … einen eher nüchternen, sachlichen Sprachstil
- … eine Fokussierung auf wenige Figuren und Handlungsorte
- … einen abrupten, i.d.R. offenen Schluss
Aufgabe 2:
Wende die Merkmale einer Kurzgeschichte auf den Text „Das Fenstertheater“ in einem geschlossenen Text an.
Sprache
Aufgabe 3:
Sammle sprachliche Besonderheiten dieses Textes und stelle Sie zusammenhängend dar. Du kannst auch schauen, ob rhetorische Stilfiguren vorkommen.
Elemente einer Interpretation
- Allgemeine Einleitung (Thema des Textes und Hinführung des Lesenden zum Text)
- Wiedergabe des Inhalts mit einer klassischen Inhaltsangabe
- Ins Schreiben kommen: Zuordnung zu einer Textgattung (hier: Kurzgeschichte) anhand der typischen Merkmale
- Darstellung der Besonderheiten in der inhaltlichen Struktur - Gibt es z.B. unterscheidbare Phasen in der Entwicklung der Handlung?
- Analyse der Erzählperspektive mit Fokus auf das Thema des Textes
- Analyse der Sprache mit dem Fokus auf das Thema des Textes
- Abschließendes Fazit.